Birgit Hering, Eurythmistin Eurythmie - Artikel
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Körpersprache   Seelengeste   Lautgebärde
Wenn wir von Körpersprache reden, gehen wir davon aus, dass der Körper mit seiner Umwelt kommuniziert. Er sendet Signale, die das eine oder andere erkennen lassen.
Solche Signale sind z.B. hochgezogene Schultern, durchgedrückte Knie oder überkreuzte Beine. Oder, wenn ich mit verschränkten Armen vor meinem Gesprächspartner stehe.
Wenn ich lerne, auf die Körpersprache zu achten, nehme ich etwas wahr, was jenseits aller Worte liegt.
Die Rückkopplung der Körpersprache ist sogar eine Methode, sein Verhalten zu ändern.

Wer sich abtrainiert, sich an den Gürtelschlaufen festzuhalten, gewöhnt sich nicht nur das Signal der Unsicherheit ab, sondern auch gleich die Unsicherheit mit.

Mein Körper sage ich damit habe ich zu tun
Mein Körper sagt mein Körper damit hat mein Körper zu tun
Ich sage ich damit habe ich zu tun
Ich sage ich damit hat mein Körper zu tun
Ich sagt mein Körper damit hat mein Körper zu tun
Mein Körper sage ich damit hat mein Körper zu tun
Ich sagt mein Körper damit habe ich zu tun

Ernst Jandl

Offensichtlich   h a b e n   wir einen Körper. Wenn alles gut geht, also wenn der Körper gesund ist, wenn er funktioniert, spüre ich ihn nicht besonders, er dient mir.
Meinen Körper habe ich mit einer bestimmten Anlage von Geburt an und viele Aspekte muß ich als gegeben hinnehmen und damit umgehen.

Der elementarste Ausdruck des Menschen ist sein Körper.
Allein der Körperbau sagt etwas über die Konstitution eines Menschen aus, darunter versteht man die Gesamtheit aller individuellen Eigenschaften, die auf Vererbung beruhen.
Ernst Kretschmer hat drei Körperbautypen herausgearbeitet, die wiederum umfassende Beziehungen zu einzelnen Temperamentstypen haben.

Zum elementaren Ausdruck des Körpers gehört auch, wo sich der Körperschwerpunkt befindet und ob der  Solarplexus, der Bewegungsansatz, geöffnet oder geschlossen ist.
Diese einfachste Form der Bewegung: offen oder geschlossen, gehört zu den Grundreaktionen des Körpers.
Offene Bewegungen stellen sich ein, wenn wir einen positiven Reiz empfinden: ich öffne mich der Welt gegenüber, die Arme weiten sich. Geschlossene Bewegungen werden z.B. durch Angst, Müdigkeit etc. hervorgerufen, wir verkriechen uns in uns selbst, verschränken die Arme.
„Schlechte“ Eigenschaften  haben den deutlichsten körperlichen Ausdruck.
Eine seelische Befindlichkeit wie z.B. „Null-Bock-Auf-Nix“ oder Interresselosigkeit, lässt den Körperschwerpunkt nach unten sinken.
Der Hintern hängt in den Kniekehlen, die Arme lasch am Körper.
Ist alles egal, versinkt der Solarplexus in den Kniekehlen.
Fühlen wir uns erhaben über die anderen, steigt der Körperschwerpunkt in den Nacken oder Hals

Aber der Körper spricht nicht nur durch den äußeren Eindruck seiner Figur, sondern auch durch seine Haltung, Gestik, Mimik, das Ausstrahlen von Energie.
Allein mit einem Blick kann ich Kontakt zu einem anderen Menschen aufnehmen.
Blicke können durchbohren, verletzen, treffen, ausziehen, bewundern, vernichten, abschätzen. Wir sprechen von einem „seelenvollen“ Blick, von einem sprechenden Blick. Sprichwörtlich benutzen wir den Ausdruck: „Wenn Blicke töten könnten...“

Je stärker die Gefühle angesprochen werden, desto akzentuierter wird auch die Gestik.
Gesten sind Bewegungen, speziell die Sprache der Hände.
Wenn ein Mensch tobt, wild gestikuliert, bedeutet es meistens, dass er wütend ist; aber nicht jeder Wütende wird toben!
Die Mimik ist viel schwerer unter Kontrolle zu bringen: zusammengekniffene Lippen, Stirnfalten, plötzliches Rot- oder Bleichwerden sind unbewusste Reaktionen auf äußere Eindrücke, Erlebnisse.
Die aufrechte Haltung ist ein wichtiger Teil der Körpersprache.
Aber die kürzeste Formel für  Körperhaltung: „Brust heraus-Bauch herein“ legt allerdings  eine falsche innere Haltung nahe und fixiert sie:
 Der Schwerpunkt wird „nach oben“ verlagert und die Mitte abgeschnürt, das natürliche Verhältnis von Spannen und Lösen wird durch ein Missverhältnis verdrängt.

Haltung, auch  Arm- Beinhaltung, Ausdruck der Augen, Mundwinkel, Hände können also unsere Gedanken, Ängste und Begierden verraten. Der Körper lügt nicht.
„In der Körpersprache offenbart sich die Seele des Menschen“  (Samy Molcho)
Aber auch Eigenschaften wie Körperfülle, Kleidung, Stimme, Frisur sind Informationsquellen, aus denen man bis zu einem gewissen Grad auf Charaktereigenschaften oder Stimmungen schließen kann.
Aber nicht immer ist die Körpersprache eindeutig.
Ein Mensch, knieend auf der Kirchenbank, mit gefalteten Händen, erzeugt ein klares körpersprachliches Bild. Aber was der Mensch wirklich denkt, wissen wir nicht, wir kennen zu wenig Details.

Jeder Mensch hat eine bestimmte Ausstrahlung.
Man erlebt diese Ausstrahlung um den Menschen herum, meistens als eine Art Farbe. Selber erlebt man seine Stimmung manchmal düster oder fühlt sich wie ein Sonntagskind.
Jeder Mensch hat seinen eigenen kleinen Umkreis, der nur zu ihm gehört. Meistens spürt man instinktiv, wie nah man kommen darf, wie groß die Distanz z.B. zwischen zwei Gesprächspartnern sein soll.

Möchte ich bewusst für den künstlerischen Bewegungsausdruck  eine bestimmte Geste, einen seelischen Ausdruck finden, sorge ich zunächst dafür, dass ich „reinen Tisch“ mache: eine Haltung aufsuche, in der alle Kräfte in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Dann suche ich den persönlichen Umraum auf, das Innere drängt nach außen, will Gestalt werden.

Zum Beispiel bin ich selber nicht traurig, aber ich soll etwas in trauriger Stimmung ausdrücken.
Ich setze dies Gefühl nach außen, fühle meinen Umkreis dunkel, bei ausgewogenen Körperverhältnissen.
Äußerlich liegen die Arme eng am Körper, die Beine sind parallel. (Siehe hier die Zeichnung von Edith Maryon, die nach Angaben von Rudolf Steiner gefertigt ist zur Seelengeste: Traurig)
Rudolf Steiners Farbangaben dazu sind: hellgrau für die Bewegung, fast schwarz für Gefühl und  dunkelgrau für Charakter.
Der persönliche Umraum ist nah am Körper gezeichnet, es wirkt große Abgeschlossenheit, Geballtheit, Gehaltenheit.
Außerdem erlebe ich eine Nähe zum eurythmischen U-Laut.

Für die Seelengeste „Heiter“ ist die angegebene Farbkomposition auf der Zeichnung: rosarot, graugelb, grellgrün. Die Gestalt wirkt geöffnet, die Arme nach oben herausgerissen, gespreizt. Ich erlebe die Nähe zum A-Laut.

Bei „Selbstbehauptung, fast Größenwahn“ schlägt die Röte des Lebensgefühls, meiner Eigenwahrnehmung, die Wirbelsäule herunter und knallt meine Gliedmaßen - Arme und angewinkeltes Bein - aggressiv der Welt entgegen. Die Farbkomposition ist: grün, rot und schwarz. (Nähe zum I-Laut)

In der Stimmung von „Verflucht gescheit“ erlebe ich die Nähe zum eurythmischen  E, in der Stimmung von „Innig“ die Nähe zum eurythmischen O.

Die Seelengeste ist das, was ich in die Welt setze, und diese Stimmung kann Lautcharakter haben.
Der eurythmische Laut selbst hat eine größere Amplitude von der Welt zu mir. Die Gesetzmäßigkeiten sind deutlich: Winkel, Kreuzung, Gerade, Gebogene, Parallele.
Jede Lautgebärde ist in einer beliebigen Stimmung möglich.

Die Lautgebärde ist ein Prozeß zwischen Zentrum und Peripherie. Es ist ein In-Beziehung-Treten zwischen mir - mit meinem kleinen Umkreis - und dem großen Umkreis, wie ein Atemprozeß.

Der Körper spricht durch sich selbst, mit der Seelengeste drücke ich eine von mir gewünschte Gestimmtheit  aus, mit der Lautgebärde stelle ich mich in den Prozeß zwischen Zentrum und großem Umkreis.

Für eine künstlerische Aussage stehe ich immer vor der Entscheidung, welchen Ausdrucksmöglichkeiten ich mehr Platz einräume.

Ich bin mein Körper   u n d   ich habe meinen Körper.

Mein Körper ermöglicht mir, das zu   h a b e n   , was ich   b i n   .


Mein Körper

Mein Körper rät mir :
Ruh dich aus!
Ich sage: Mach ich,
Altes Haus!

Denk aber: Ach, der
Sieht ja nicht!
Und schreibe heimlich
Dies Gedicht.

Da sagt mein Körper:
Na, na, na !
Mein guter Freund,
was tun wir da ?

Ach, gar nichts! Sag ich
Aufgeschreckt.
Und denk: Wie hat er
Das entdeckt?

Die Frage scheint recht
Schlicht zu sein,
doch ihre Schlichtheit
ist nur Schein.

Sie lässt mir seither
Keine Ruh:
Wie weiß mein Körper,
Was ich tu?

Robert Gernhard



Literatur

Vera F. Birkenbihl, Signale des Körpers. Landsberg am Lech, mvg-Verlag, 1988, 5. Auflage.

Michail A. Cechov, Die Kunst des Schauspielers. Stuttgart, Verlag Urachhaus Johannes M. Meyer, 1990; 2. Auflage 1992.

Ernst Kretschmer, Körperbau und Charakter. Berlin, Göttingen, Heidelberg, Springer-Verlag, 1951, 20. Auflage.

Sammy Molcho, Alles über Körpersprache, München. Wilhelm Goldmann Verlag, 2001, 8. Auflage.

Werner Müller, Körpertheater und Commedia d`ell Arte. Pfeiffer Verlag

Flensburger Hefte, Nögges Elementartheater. Sonderheft Nr. 11, 1993.

Rudolf Steiner, Die Ausdrucksfähigkeit des Menschen in Sprache, Lachen und Weinen. Dornach/Schweiz, Rudolf Steiner Verlag, 1979, 2. Auflage.

Michael Tschechow, Werkgeheimnisse der Schauspielkunst. Zürich und Stuttgart, Werner Classen Verlag, 1979.
 
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